Manuskripte 2023

Kirchentag in Nürnberg

In dieser Datenbank haben Sie die Möglichkeit, Redebeiträge vom Kirchentag in Nürnberg 2023 einzusehen.

Diese Sammlung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; wir veröffentlichen alles, was uns die Referierenden zur Verfügung stellen. Die Dokumentationsrechte für ganze Texte liegen bei den Urheber:innen. Bitte beachten Sie die jeweiligen Sperrfristen.

 

Sperrfrist
Mi, 07. Juni 2023, 17.30 Uhr

Mi
17.30–18.30
in Deutscher Gebärdensprache
Eröffnungsgottesdienste | Großgottesdienst
Es ist höchste Zeit
Eröffnungsgottesdienst
Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, München

Jetzt ist die Zeit! Ja, ich freu mich: jetzt ist Kirchentag! Ihr seid aus allen Himmelsrichtungen Deutschlands und der ganzen Welt zusammengekommen oder feiert jetzt von zu Hause aus mit, um genau das zu erleben: Jetzt ist die Zeit! 

Der Nürnberger Hauptmarkt hier ist voller Menschen, für die dieses Wort ebenso wie für Sie zu Hause wahr wird: Jetzt. Ich sehe und spüre etwas von Gottes Kraft. Wir sind viele, wir gehören zusammen. Und wir wollen etwas hören und erleben, was uns stärkt und inspiriert. Hoffnung finden in dieser so verrückten Zeit! 

„Dreht euch mal um. Kehrt um!“ – so haben wir es eben von der Gauklerin gehört. Und, Gauklerin, (zur Gauklerin gewandt) Du hast ja recht! 

Ich bin eher ein optimistischer Mensch. Aber mir geht es auch immer wieder so, dass mich die Lage dieser Welt richtig runterzieht. Mit der ökologischen Umorientierung von Wirtschaft und Gesellschaft geht es viel zu langsam. Das Klima kippt. Und irgendwie haben wir es immer noch nicht kapiert. Und bei all den Kriegen in der Welt fällt es schwer, irgendein Licht am Horizont zu sehen: im Jemen, wo die Menschen der Gewalt ohnmächtig ausgeliefert sind, weil miteinander verfeindete Mächte ihren Stellvertreterkrieg ausfechten. In Israel und Palästina, wo das andauernde Unrecht gegen die einen und die stille oder offene Vernichtungsdrohung gegen die anderen zu immer mehr Verhärtung führen. Und in der Ukraine, wo Russland – seit weit über einem Jahr – einen illegalen und unmoralischen Angriffskrieg führt. Es steht jetzt schon fest, dass alle verlieren werden.

Ja, man könnte wirklich denken, die Welt geht den Bach runter. Wenn da nicht der wäre, der die Welt geschaffen hat! Wenn da nicht die Geistkraft wäre. Sie richtet die Welt immer wieder auf und haucht ihr neues Leben ein! Und Jesus von Nazareth! Dieser Mensch, in dessen Gegenwart die Leute Gott selbst gespürt haben, sich ganz und heil gefühlt haben.
„Jetzt ist die Zeit“, sagt er, „Gottes gerechte Welt ist nahe. Kehrt um und vertraut der frohen Botschaft!“ 

Vertraut der frohen Botschaft, liebe Kirchentagsgemeinde! Schaut doch mal zurück! Das Biblische Gottesvolk Israel - gefangen in der Sklaverei in Ägypten. Aber Gott führt sie heraus. Und nach jahrelangem Wüstenwandern erreichen sie das gelobte Land und leben frei. Und dann – ein paar Jahrhunderte später – als Gefangene verschleppt in Babylon. Sie hoffen verzweifelt, hören die Stimme der Propheten: Gott wird die Wüste blühen lassen! Und sie kehren tatsächlich aus dem babylonischen Exil nach Hause zurück. Und nochmal 500 Jahre später kommt Jesus von Nazareth, der große Hoffnungsstifter. Und stirbt doch am Ende mit einem Schrei der Gottverlassenheit am Kreuz. Tiefe Depression. Ein gescheiterter Idealist mehr in der Weltgeschichte. Totale Hoffnungslosigkeit.

Und dann sehe ich Euch alle hier und staune: Zehntausende feiern einen Kirchentag, der zum Signal der Hoffnung wird! Wie kann das sein? Warum sind wir hier in dieser wunden Zeit!? Weil Christus auferstanden ist! Weil die Frauen am leeren Grab in Jerusalem diese wunderbare Botschaft gehört haben und weitererzählt haben, weiter und weiter in alle Welt. Und seither feiern Milliarden von Christinnen und Christen Ostern, den Sieg des Lebens über den Tod. Weil sie glauben, lieben und hoffen und aus dieser Kraft allem Zerstörerischen widerstehen. 

Als Christinnen und Christen sagen wir: diese Welt hat eine Zukunft! Sie lebt hin auf einen neuen Himmel und eine neue Erde. Darum setzen wir uns schon jetzt ein – für diesen Himmel und für diese Erde.
Beten, Tun des Gerechten und Warten auf Gottes Zeit – mit diesen drei Worten hat Dietrich Bonhoeffer einmal die christliche Existenz beschrieben. Ich könnte ohne diese drei nicht leben. Das Beten gibt mir Kraft. Im Tun des Gerechten finde ich Sinn. Und aus dem Warten auf Gottes Zeit kommt meine Hoffnung. Das finde ich das Allerwichtigste. Ich weiß: Gottes Zeit wird kommen. „Gottes gerechte Welt ist nahe“ – sagt Jesus.

Mein Enkel Amos ist jetzt 4 Jahre alt. Und ich bin 63. Im Jahr 2082 wird er so alt sein wie ich jetzt. Und ich werde dafür kämpfen, dass er dann mindestens ein genauso gutes Leben hat, wie ich es jetzt habe! Und bitte, kämpft alle mit. Ihr alle, Mütter und Väter, Großmütter, Großväter und alle, die Ihr für Kinder sorgt, kämpft mit! Für unsere Kinder! Sie sollen leben, gut leben, reine Luft atmen, klares Wasser trinken, sich an Schmetterlingen freuen. Immer wieder Sonne und dann wieder auch Regen genießen können.

Wir werden – so soll es sein – unser Glück nicht mehr am Wachstum des materiellen Wohlstands festmachen, sondern am Wachstum des Beziehungswohlstandes. Wir werden unsere Freiheit nicht mehr danach beurteilen, wie hoch der Tachometer gehen darf, sondern danach, ob wir uns schöpfungsverträglich fortbewegen. 
Wir werden Gerechtigkeit nicht mehr daran messen, ob das Gehalt der vermeintlichen Leistungsträger hoch genug ist, sondern daran, ob alle Menschen, auch die Schwächsten, in Würde leben können – und zwar überall auf der Welt!

So soll es sein. Und jetzt ist die Zeit! 
(zur Gauklerin gewandt) Oder, Gauklerin?
„Die Zeit ist noch nicht um. Kehrt um, kehrt um, kehrt um! Verkauft euch nicht für dumm. Dreht euch mal um. Evangeli-um. Kehrt um kehrt um, kehrt um!“

Sag das immer wieder! Sag es so, dass die Menschen es nicht als Bevormundung empfinden, sondern als Türöffner in ein neues Leben, in ein erfülltes Leben, in ein heiles Leben! Wir senden heute vom Nürnberger Hauptmarkt aus eine klare Botschaft. Ja, wir wollen unser Leben neu ausrichten. Ab jetzt. Nicht gegeneinander leben auf der Welt sondern miteinander. Und trotzig hoffen. Gott vertrauen.
So werden wir in diesen Tagen in Nürnberg singen, loben, tanzen, lachen und vielleicht auch weinen – jedenfalls „Leben pur“ erfahren. Und genau aus dieser Liebe zum Leben heraus werden wir ernst und leidenschaftlich diskutieren und um die besten Lösungen für die Zukunft ringen. 
Für Gottes gerechte Welt. Sie ist nahe, sagt Jesus. Kehrt um und vertraut der frohen Botschaft!
Das wollen wir tun! Jetzt ist die Zeit!

Amen


Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.